Jazz ist tot – Mehrspur Blog #1

Jazz ist tot. Zumindest im Zürcher Kreis 1.

An der Waldmannstrasse, wo bis vor kurzem noch schwarz gekleidete Musiker beschwipst herumgestanden sind, ist nun Ruhe eingekehrt. Neben den Boutiquen, in die noch nie jemand eingetreten ist, gegenüber der Freien evangelischen Schule, gleich an der Hauptstrasse, die hinunter zum Bellevue führt. Bis zum Juni dieses Jahres befand sich dort die Jazzabteilung der ZHdK, sowie der dazugehörige Musikklub Mehrspur.

Wie oft hat man sich an Mittwochabenden durch die unscheinbare Türe zum Saal gezwängt? Mit der Hoffnung auf ausgelassene Jamsessions und kühles Bier durchquerte man den schlauchförmigen dunkeln Klub in Richtung Bar. Die gesamte linke Wandfläche war mit LEDs versehen, die immer wieder etwas verlegen aufflackerten. Nebst der Musik fühlt sich auch die gesamte Inneneinrichtung improvisiert an. Wie eine etwas modernere, ZHdK-konforme Version eines verwilderten Jazzkellers aus den Erzählungen von Jack Kerouac. Nicht minder verstaubt und mit dem nötigsten ausgestattet. Kein technischer Prunk, lediglich eine kleine Bühne und schwarze Holzstühle.

Vielleicht war es gerade die Benommenheit dieses Ambientes, die es einem möglich machte, sich auf einzigartige musikalische Reisen zu begeben. Egal ob das nun feierliche Jazz Konzerte oder hysterische Drum and Bass-Parties waren.

Ein psychologischer Schleudersitz für das schicke Leben in der Innenstadt. Der Umzug des Mehrspurs bedeutete nicht zuletzt auch das Abtrennen einer bestimmten Tranche Charme. So ähnlich steht es um das Industriequartier Zürich West. Auch dort gibt es etwas Bestimmtes, das zu fehlen scheint. Es gibt einerseits den bekannteren Stadtteil, rund um um das Geroldsareal, dass abwechselnd von plattgetanzten Riesenpupillen und Geschäftsleuten bevölkert wird.

Dann gibt es den anderen Teil, in dem die Hochhäuser nur so aus dem Boden schiessen. An die Maschinenindustrie in Zürich West erinnert gebäudetechnisch nur noch der Turbinenhersteller Man. Zurzeit entsteht ein neuer Stadtteil. Ein Stadtteil aus Stahlbeton, bestehend Gewerbefläche, Eigentumswohnungen und Hotels. Neben dem bereits bekannten Hotel Ibis und dem Novotel Zürich West beim Puls 5 ist nun in den letzten 3 Jahren das Renaissance Tower Hotel, Sheraton Zurich und das 25hour Hotel Zurich West dazugekommen. Spätestens nach dem Les Halles fühlt sich das Boulevard der Pfingstweidestrasse ein wenig an, wie eine riesige öffentliche Hotellobby, ein Ort an dem man sich wohlfühlen kann, sich aber keinesfalls länger aufhalten soll.

Was braucht es wirklich, um dem desolaten Planquartier etwas Leben einzuhauchen?

Der Mehrspur Blog erscheint ein- bis zweimal monatlich und widmet sich jeweils einem Thema rund um die vielseitige Mehrspur-Welt im Toni-Areal © by Phil Cron